Hegel-Denkmal auf dem Hegel-Platz in Berlin

Hegel-Institut Berlin e.V.

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Skizze zur Geschichte der Hegel-Literatur
in der SBZ und der DDR

Allgemeine Strukturmerkmale und die Konturen
bis zum Ende der 50er Jahre.

1. Historische Aspekte.

Ehe wir uns für die Behandlung unseres Themas auf das Gebiet der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands beschränken, soll daran erinnern werden, daß die Zerlegung Deutschlands in Besatzungszonen das Ergebnis des 2. Weltkrieges war - des ungeheuerlichen Versuch der Deutschen, sich in einem vermeintlichen Rassenkampf Europa als eine deutsche Kolonie zu unterwerfen. Denn leider wird dieser historische Ausgangspunkt der Geschichte der DDR in jüngeren Betrachtungen zur Philosophie in der SBZ/DDR namens einer moralischen Wertung ausgeblendet, die ihre Helden mitunter in einem merkwürdig geschichtslosen Raum studiert. Aus der Perspektive von 1945 war man mit dem für viele Jahrhunderte beispiellosen Faktum konfrontiert, innerhalb von 30 Jahren zwei Weltkriege erlebt zu haben und mit dem Zeitalter des totalen Krieges (1) geschlagen zu sein.

Mit Rücksicht auf die Konturen der Hegel-Rezeption in der SBZ seien deshalb zwei für die frühe Nachkriegszeit zeitgeschichtlich relevante Aspekte festhalten.

Erstens: Hegel ist in dieser Zeit auch deshalb so so intensiv im Kontext der Frage nach Hegel und Marx diskutiert worden, weil es im Ausdruck der Weltwirtschaftskrise und des Faschismus einen internationalen Linkstrendgegeben hat.

Zweitens: In der SBZ/DDR ist Hegel bekanntlich sehr lange als letzte Lichtgestalt der bürgerlichen Philosophie betrachtet und so zugleich gegen die sogenannte spätbürgerlichen Philosophie ausgespielt worden, als deren Exponent vorzüglich Nietzsche galt. (2) Dieser Umstand hat nun sehr viel damit zu tun, daß im Denken der Nachkriegszeit die Frage nach der zugrunde liegenden Epoche eine große Rolle spielte.

Der internationale Linkstrend

Im Zusammenhang mit der Antihitlerkoalition, aber auch im Ausdruck der Frage nach den Wurzeln der Weltwirtschaftskrise und des Faschismus, kommt es in 40er Jahren in den westeuropäischen Zentren zu beachtlichen prosozialistischen Veränderungen. Ihnen korrespondiert international eine intensive Marxrezeption und damit verbundene Marxdebatte. (3) Dabei stellt natürlich die dem deutschen Faschismus geschuldete Antihitler-Koalitionder kapitalistischen Führungsmächte mit der Sowjetunion den markantesten Ausdruck des veränderten Zeitgeistes dar. Weiter wäre in diesem Zusammenhang an Amerikas new deal und die Wiederwahl Roosevelts zu erinnern. Im Frühsommer 1945 kommt es im Resultat eines Freiheit-oder-Sozialismus-Wahlkampfes in England zu einem souveränen Labour-Sieg. Zum erstenmal in der britischen Geschichte hat labour (bis 1951) die absolute Mehrheit im Unterhaus und führt ein Programm der Nationalisierung der Grundstoffe und Energieträger, des Kredit- und Fernmeldewesens wie des Land- und Lufttransports durch. Dem folgte dann 1949 die Nationalisierung der Stahl- und Eisenindustrie. In Frankreich erweisen sich im Oktober 1945 die Kommunisten mit 26,2% der Wählerstimmen als die stärkte Partei des Landes. Eine bis Mai 1947 fungierende Koalition von Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten unter De Gaulle leitet im Dezember 1946 mit der Verstaatlichung der Bank von Frankreich und dann mit dem Übergang zu einem gesamtstaatlichen Systems der Wirtschaftsplanung das französische Sozialisierungsprogramm der Nachkriegszeit ein.

Für den tonangebenden deutschen Zeitgeist der unmittelbaren Nachkriegszeit sei stichpunktartig auf die Ahlener Programmatik von 1947 und auf die Lagebeurteilungen verwiesen, die seit dem Mai 1945 von Kurt Schumacher zu vernehmen waren. Das Ahlener Programm der CDU hob bekanntlich mit der Proklamation an, daß der Kapitalismus "den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden" und eine "wirtschaftliche Neuordnung von Grund aus" nötig sei. Nach dem Urteil Kurt Schumachers waren die Nazis die Gegenrevolutionäre zu Weimar und ihr Aufstieg war einem Bündnis von Schwerindustrie, Finanzkapital und Militär geschuldet.(4)

Schumacher - und mit ihn begegnen wir zugleich einem Aspekt der deutschen Hegelthematisierung - zielt auf eine Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Gegen die alte Staatsverdrossenheit der Sozialdemokratie hatte schon der junge Schumacher im Gefolge seines theoretischen Rückgriffs auf Lassalle den (demokratischen) Staat als einen sittlicher Grundwert verteidigt. Mit seiner Nachkriegspolitik reformuliert der Sozialdemokrat das klassisch Hegelsche Verhältnis von Staat und Gesellschaft nunmehr dahin: "Die Demokratie ist erst in einem sozialistischen Deutschland gesichert"(5) Derartige konzeptionelle Gedanken war bis in die frühen 50er Jahre für die SPD maßgeblich.

Die Besinnung auf die Epoche

Vornehmlich die antifaschistische Diskussion insistierte von Anfang an darauf, mit dem Faschismus auch ein Epochenproblem vor sich zu haben, das des Zeitalters des Imperialismus. Kurt Schumacher verwies in seiner ersten großen Rede "Was wollen die Sozialdemokraten?" vom Mai 1945 darauf, daß die ökonomischen, sozialen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen der Nazibewegung auf die Jahre um 1878 zurückgehen. Die damalige Politik der Hochschutzzölle, so sein Gedanke, habe den Übergang zum Imperialismus eingeleitet, einer Epoche, in der die Ideen des Rechtes und der Menschlichkeit dem blinden Glauben an die Gewalt wichen. Die Politik wurde rein zum Machtgebrauch - bis hin zum Einsatz von militärischer Gewalt, wirtschaftliche Expansionsbestrebungen durchzusetzen.(6) Diese Datierung durch Schumacher entspricht durchaus den Ergebnissen, die diesbezüglich in der jüngeren Imperialismusforschung gelten.(7) Für das Verständnis der Erbediskussion in der DDR ist nun die Beobachtung wichtig, daß spätestens seit der Arbeit des österreichischen Historikers Heinrich Friedjung von 1919 zum Imperialismus auch die Auffassung in der Welt war, Nietzsche habe eine der neuen Zeit adäquate "Befreiung" von den Idealen der Humanität vermittelt. Eine Befreiung von Idealen, die sie - wie es nach Friedjung den Deutschen nunmehr schien - politisch handlungsschwach gemacht hatten.(8) Damit war die Frage Nietzsche oder Hegel?, die Frage nach dem Verhältnis zur Kultur der liberal-humanitären Epoche mit ihren Exponenten Kant, Hegel, Goethe, zur Debatte gestellt.(9)

Eric Hobsbawm reflektiert das 20 Jahrhundert gemeinsam mit vielen Zeitdiagnostikern als Zeit des Unterganges des Liberalismus: "Blickt man auf die ganze Welt, so hatte es 1920 insgesamt vielleicht fünfunddreißig konstitutionelle und gewählte Regierungen gegeben... . 1938 waren vielleicht noch siebzehn solcher Staaten und 1944 noch etwas zwölf von den weltweit fünfundsechzig übriggeblieben. Der Trend auf der Welt schien eindeutig"(10)

In den Westzonen fragte nicht nur Schumacher nach den Charakteristika des historisch zurückliegenden Zeitabschnitts. So auch Müller-Armack. Aber im Unterschied zu Schumacher folgte er einem (nach seinem Selbstzeugnis übrigens auf dem philosophischen Fundament von Hegel ruhenden) Ansatz zur Erforschung der Evolution der Wirtschaftsstile.(11) Diesem Studium verdankte sich seine Idee, man könne den Gegensatz von liberalistischen und planwirtschaftlichen Epochen auf dem Boden eines neu zu gestaltenden Wirtschaftsliberalismus lösen, den Müller-Armack unter dem Namen der "soziale(n) Marktwirtschaft" skizziert.

Schumachers und auch Müller-Armacks Konzept waren beide mit einer Besinnung auf die geschichtliche Dimension von Epochen verbunden. So war die Idee, es gälte Positionen des 19. Jahrhunderts kritisch zurückzugewinnen, durchaus allgemein.(12) Auch mit den Nachkriegsaufsätzen von Thomas Mann stößt man auf diese Tiefendimension der Selbstvergewisserung - und sie ist es, die für die Philosophie auf Hegel und in der Literatur auf Goethe führt. Thomas Manns Reden und Aufsätze kreisen um Goethe und Nietzsche: 1947 sprach er über Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrungen und beklagte dabei den irrtümlichen Glauben Nietzsches, die Vernunft und den Intellekt zugunsten des Instinktes niederhalten zu müssen.(13)

Eine Epochenzäsur war aber nicht nur über den retrospektiven Bezug zu fassen. Vielmehr war sie war auch zeitgenössisch kaum mehr zu bezweifeln: Syrien und Libanon wurden 1945 unabhängig, 1946 entließ die USA die von ihr seit 1898 besetzten Philippinen in die formelle Unabhängigkeit und 1947 gewinnen Indien und Pakistan ihre politische Souveränität. Eric Hobsbauwm kann mit Blick auf das Ende der 60er Jahre lakonisch feststellen" Das imperiale Zeitalter war zu Ende"(14)

2. Soziologische Aspekte

Die Entfaltung der Hegel-Literatur der SBZ/DDR erfolgte unter soziologischen Voraussetzungen, von denen wir einige nachfolgend skizzieren werden.

Was die Westzonen betrifft, sei zunächst daran erinnert, daß - nach einer Studien von Christian von Ferber - bis 1953 nur 17% der emigrierten deutschen Ordinarien und 13% der Nichtordinarien an eine westdeutsche Hochschule zurückkehrten.(15) Dieser Situation begegneten die westdeutschen Hochschulen ab Mitte der 50er Jahre mit einer intensiven Gastdozententätigkeit. Auf westdeutscher Seite finden wir unter den Rückkehrern besonders Emigranten aus den USA, die die "political science" als Politologie importierten und gleichzeitig den Zug zur modernen Soziologie begünstigten. In dem Maße wie dieser empirische Trend den Zeitgeist beherrschte, führte er zunächst auch von Hegel weg.

Alexander Pechman stellt 1981 in einer kommentierten Bibliographie zur westdeutschen Hegel-Forschung fest, Hegel habe wegen seines politischen Denken bis zum Ende der (westdeutschen) Restaurationsperiode als philosophischer Repräsentant des Preußentums und nach seiner philosophischen Methode als Begriffsverwirrer und Mystiker gegolten.(16) Der erste große Streit über den möglichen wissenschaftlichen Charakter der Dialektik entbrannte daher als Methodenstreit in den Sozialwissenschaften. ("Positivismusstreit in der deutschen Soziologie"(17) )

Von den Geistes- und Sozialwissenschaftlern waren durch den nationalsozialistischen Staatsterror vor allem Personen mosaischen Glaubens, Marxisten und Anhänger der Wiener logischen Schule zur Emigration gezwungen worden. Von diesen Emigranten wurden nun bekanntlich besonders die Kommunisten, Marxisten und die mit diesen Gruppen Sympathisierenden von der SBZ/ DDR angezogen. Von einem Projekt damit, das auch eine (durchaus Hegelsche) geschichtsphilosophische Botschaft verhieß. Mit der Frage nach dem definitiven Schritt zum Sozialismus, Kommunismus ging es auch um die Realisierbarkeit der Vorstellung von einer progressiv gegliederten Weltgeschichte. Man konnte meinen, hier würde es möglich, das Deutschland der gescheiterten Revolutionen zu erlösen.(18) Und dies angesichts eines immer stärkeren Kontrastes zu restaurativen Entwicklungszügen in der BRD.(19) In die SBZ/DDR kamen u.a. Alfred Kantorowicz , Ernst Nikisch , Jürgen Kuczynski, Hans Mayer , Ernst Bloch und Werner Krauss. Diese spezifische Attraktivität Ostdeutschlands für die politisch radikaleren unter den produktiven Geistes- und Sozialwissenschaftlern hat den Charakter der von Anfang an intensiven Hegel-Debatte in der SBZ/DDR mitbestimmt.

Ein weiterer DDR-spezifischer Aspekt soll in diesem Zusammenhang Erwähnung finden. Denn wer in den 70er Jahren die Forschungen zum Themenkreis Natur-Naturwissenschaften-Hegel bilanzierte, stieß sehr bald darauf, daß entsprechende naturphilosophische und methodologische Studien kaum aus Westdeutschland, sehr dicht aber aus der DDR kamen. Für Westdeutschland hat Jens Brokmeier die Lage wie folgt charakterisiert: Von 1945 bis 1970 wurden in der BRD insgesamt 15500 philosophische Vorlesungen und Seminare abgehalten. Auf 12 Veranstaltungen ging man auf die Naturphilosophie Hegels zumindest ein. Es galten jedoch nur 2 Veranstaltungen ausschließlich der Naturphilosophie Hegels.(20)

Wenn in der DDR inhaltliche wie methodologische Fragen der Naturwissenschaften und der Mathematik im Kontext der Dialetikforschungen ein stärkeres Gewicht erlangten, dann hing das zunächst mit dem besonderen Stellenwert des Dialektischen Materialismus als eines Lehrfachs im Grundlagenstudium aller Fakultäten zusammen. Denn damit war auch das Interesse gesetzt, die Dialektik für die Lehre bei den Naturwissenschaftlern und Technikern fachwissenschaftlich aufzubereiten und auszubilden. Dieser Umstand war sicher für die breite und stetige Arbeit auf diesen Gebieten ausschlaggebend. Darüber darf man jedoch nicht vergessen, daß diese Forschungen von einer spezifisch interessierten Gründergeneration initiiert und maßgeblich auf die Bahn gebracht worden sind. Es geht dabei um Gerhard Harig, Robert Havemann, Georg Klaus, Herrman Ley und Klaus Zweiling. Ley war von Hause Zahnarzt, Harig hatte 1928 in Leipzig mit einer Arbeit über Absorptionseigenschaften von Quecksilber und flüssigem Kohlendioxyd physikalisch promoviert(21) , auch Zweiling war ein studierter Physiker. Er hatte bei Max Born promoviert. Robert Havemann ,(dessen positiver Bezug auf Hegel in seinen berühmten Vorlesungen von 1963 zur Dialektik ohne Dogma angesichts der tendenziell durchaus positivistischen Gesamtanlage dieser Vorlesungen auf den ersten Blick zu überraschen vermag). wurde 1935 mit einer kolloidchemischen Arbeit promoviert.(22) Allen Genannten sind vor 1945 für ihre kommunistische resp. linkssozialistische Überzeugung eingetreten. Vielleicht kann man für diese Gründerväter des naturphilosophischen Studiums in der DDR sagen, daß ihr besonderes Interesse an Hegel Ausdruck der philosophischen Selbstvergewisserung war, die sie ausgehend von ihrer politischen Überzeugung angestrengt haben. Jedenfalls scheinen auch die von diesen Wissenschaftlern ausgehenden Wirkungslinien damit zusammenzuhängen, daß die DDR zur bevorzugten Wirkungsstätte für die deutschen kommunistischen Intellektuellen wurde.

3. Verlaufskonturen bis zum Ende der 50er Jahre

Hegel in den Schulungen der Moskauer KPD-Führung

Anfang 1944, nachdem mit der Teheraner Konferenz eine erste Einigung der Alliierten über die Konturen der europäischen Nachkriegsordnung erfolgte, begannen die deutschen Kommunisten, ihre Politik nach dem Sieg vorzubereiten. Im Frühjahr 1945 verfaßte Johannes R. Becher für die Funktionärsschulung eine kulturpolitische Orientierungsschrift, den Vortrag "Zur Frage der politische- moralischen Vernichtung des Faschismus". Sie vermittelt einen Eindruck davon, was man auf diesen Schulungen über Hegel hören konnte. Dieser Vortragstext zur Kritik der Naziideologie wurde im Frühjahr 1945 mehrfach vorgetragen und vervielfältigt. Im Grunde ging es Becher um die Besinnung auf die "...fortschrittliche(n), klassische(n), humanistische(n) Ideologie..."(23) Das sollte nicht unkritisch geschehen, aber keiner dürfe vergessen, daß die Katastrophen der jüngeren Geschichte eingetreten waren,"...nachdem Deutschland solche Genies wie Goethe, Hegel, Engels und Marx hervorgebracht hatte."(24) Die bevorst6ehende Niederlage Hitlers deutete Becher als eine deutsche Totalkatastrophe. Als Niederlage nicht nur einer politischen und militärischen Führung, sondern auch einer staatlichen und wirtschaftlichen Struktur "...darüber hinaus ...der deutschen Philosophie, der... Geschichtsschreibung, der... Pädagogik, der...Wissenschaft...."(25)

Die Naziideologie als Aufhebung jeglicher objektiver Wahrheitsforschung, bemerkte Becher weiter, könne man am Kampf eines Göbbels gegen das objektive Denken und am Haß eines Rosenberg gegen Hegel studieren.(26) Hegel wird in der Rede auch gegen Ernst Jünger mobilisiert. Becher setzt sich dann mit dem, wie er erinnert, - auch gelegentlich bei Kommunisten geschätzten - Nietzsche auseinander. "Die Philosophie Nietzsches hätte seinerzeit zur Entscheidung und zum Trennungsstrich werden müssen zwischen Reaktion und Fortschritt"(27)

Abschließend skizziert Becher Thesen einer freiheitlichen Ideologie, mit denen er die demokratisch gedeuteten Überzeugungen der klassischen deutschen Philosophie in den Mittelpunkt der antifaschistischen Erziehungsarbeit stellt.

Offene Fragen einer Sammlung der Hegel-Literatur der DDR

Eine wichtige und für die Anlage einer Sammlung der Hegel-Literatur der DDR noch weitgehend offene Frage ist die nach der Stellung Hegels im Nachkriegsdiskurs der "bürgerlichen" Philosophen der Ostzone/DDR. Das gilt auch für die konfessionelle Hegel-Forschung in der DDR.

Bekanntlich war die Entnazifizierung, die in allen Zonen Deutschlands Nazis aus der Forschung und der Lehre herauszufiltern suchte, in der SBZ nach einer Vereinbarung von SPD und KPD aus dem Jahre 1945 mit der historisch längst überfälligen Veränderung der Immatrikulationspolitik zugunsten von Arbeiter- und Bauernkindern verbunden worden. Aber es waren nicht so sehr die hochschulpolitischen Probleme, die hieraus erwuchsen, als der seit Mitte 1947 massiv einsetzende kalte Krieg, der in Verbindung mit der innenpolitischen Entwicklung in der SBZ zum Exodus der "bürgerlichen" Philosophen aus der SBZ geführt hat. Das betraf u.a. Hans-Georg Gadamer (Leipzig), Theodor Litt (Leipzig), und Eduard Spranger (Berlin). Der Berliner Nachkriegsrektor Eduard Spranger resignierte beispielsweise noch im Oktober 1945, als klar wurde, daß die Universität nicht einer Viermächteverwaltung sondern einer sowjetischen unterstehen wird. Dabei wurde in Berlin die zugleich einsetzende parteipolitische Ausrichtung der Immatrikulationen besonders schnell deutlich. Man kann das an den Fragen verfolgen, die Studienbewerbern der Juristischen Fakultät (im Wintersemester 46) gestellt wurden: Wann wurde Stalin geboren? Wann wurde Marx geboren und wann starb er ? An welche Philosophen lehnte sich Marx an? (Die Anwort mußte Hegel und Feuerbach heißen)(28) In Berlin kam es im Februar 1947 zum offenen Eklat, als bei den Fakultätsratswahlen unter 54 Personen kein SED-Mitglied gewählt wurde. Die politischen Kämpfe führten 1948 zur Gründung der Freien Universität Berlin. Sie profitierte nicht zuletzt von der 1951 in der DDR initiierten Hochschulreform, in deren Verlauf auch die unversitären Selbstverwaltungsorgane durch SED- und FDJ-Leitungen abgelöst wurden. In Berlin kam es 1951 zu einem starken Abwanderungsschub an die FU.

Diese Atmosphäre, die von vielen Hochschullehrer als eine des Drucks und des Terrors empfunden werden mußte, gefährdete zugleich das theoretische Niveau. Einer der letzten in der DDR verbliebenen "bürgerlichen" Philosophen, der Ontologe Günther Jacoby aus Greifswald wandte sich 1955 mit einer mutigen und kritischen Denkschrift über die Universitätsphilosophie in der Deutschen Demokratischen Republik an den Staat und beklagt angesichts der Ideologisierung den Verlust an theoretischer Substanz. Er erntete nur Zurechtweisungen.(29)

Um einen dieser für die frühe Hegel-Literatur der DDR durchaus wichtigen "bürgerlichen" Denker hier vorzustellen, sei auf den Leipziger Germanisten H. A. Korff hingewiesen. Korff, der mit seiner Arbeit Der Geist der Goethezeit diesen Zeitbegriff überhaupt erst geprägt hat, ging es um den Übergang von der Literatur- zur Ideengeschichte. Die Goethezeit war "...ebensosehr die Blütezeit der deutschen Philosophie wie der deutschen Dichtung..."(30) In seiner mehrbändigen Arbeit spürte Korff dieser Verwandtschaft von Dichtung und Philosophie nach, sie war "...so eng..., daß auch ihre führenden Persönlichkeiten nur in verschiedenem Grade beides gewesen sind: sowohl philosophische wie dichterische Geister."(31) Die ersten drei Bände seines Gesamtwerkes hatte Korff bereits 1923, 1930 und 1940 veröffentlicht. 1947 vollendet er den vierten Band, der 1953 erscheinen konnte.(32)

Mit diesem Band legte er auch eine Studie zum Zusammenhang von Goethes Faust und dem Charakter der Hegelschen Philosophie vor.(33) Im Bildungsgang der Goethezeit bedeutete Hegel für Korff überall eine letzte Synthese, eine Stufe, die die entgegengesetzten Positionen in einem höheren Dritten aufzuheben vermochte.(34)

Wie haben hier eine human temperierte Aufnahme Hegelscher Gedanken vor uns, der politisch durchaus eine liberale Dimension innewohnte. Denn "...der Widerspruch ist nicht das wahrhaft Wirkliche, sondern nur eine Durchgangsstufe des Geistes,...dazu bestimmt, sich aufzuheben."(35)

Auch die theologische Literatur der SBZ/DDR muß für eine Sammlung der Hegel-Literatur der DDR erst noch erschlossen werden. Besonders der protestantischen Theologie ist ja die Neigung zum Dialektischen immanent, die mit dem Verständnis von Vorgängen im Unterschied zum Verständnis von Zuständen verbunden ist. Die lutherische Gnadenlehre - man ist danach sowohl sündig wie erlöst - macht das besonders deutlich.

Seit den frühen 50er Jahren wurden an theologischen Lehrstühlen in der DDR Studien zur Dialektik in homiletischer Perspektive erarbeitet.(36) Aber nicht nur nach der eigenen Substanz ist das theologische Denken auf eine Hegel-Rezeption verwiesen. Seine Religionsphilosophie stellt eine der bleibenden Herausforderung dar.

Die Jenaer Logik-Konferenz von 1951

Im November 1951 fand in Jena eine Konferenz zum Verhältnis von dialektischem Materialismus und mathematischer Logik statt. Ein für die Theorie der Dialektik wahrlich zentrales Thema! Denn die logischen Operationen mit ihrem Kriterium der Widerspruchsfreiheit bilden ja eine unverzichtbare Grundlage des menschlichen Schließens und damit des theoretischen Verhaltens. Hegel hatte hierzu erklärt, dialektisches Denken habe den Widerspruch einzuschließen. Deshalb haben wir hier zugleich um eine Konferenz zu einem theoretischen Kernproblem der Hegelschen Philosophie vor uns.(37) Und zwischen den Experten gab es auch kaum Streit darüber, daß das Verhältnis von (traditioneller aber auch von formaler oder mathematischer) Logik zur Dialektik eines der anspruchsvollsten Themen der theoretischen Philosophie bildet. Betrachten wir einige Konferenzbeiträge: Georg Klaus fragte, ob Hegel das formal-logische Denken nicht etwa unterschätzt habe. Ihm schien, daß die Logik an sich dialektisch sei. (38) In der Diskussion entfaltete der mathematische Logiker Karl Schröter seine Sicht des Hilbertschen Programms der Mathematik und verteidigt die moderne Entwicklungen der mathematisch-logischen Theorie als ein im Kern ideologiefreies Tun, das man von der jeweiligen Weltanschauung eines Logikers sehr wohl unterscheiden müsse. Ernst Bloch skizzierte, wie sich die Dialektik auf ihre Weise um den Satz vom (verbotenen) Widerspruch schert und fragt gegen Georg Klaus skeptisch, ob es denn so wirklich so einfach sei, am logistischen Denken Dialektik auszumachen.(39) Der Greifswalder Ontologe Günther Jacoby schlug vor, das Widerspruchsproblem mit Blick auf eine Logik der Modalitäten zu behandeln. Klaus Zweiling machte dagegen den Hegelschen Gedanken geltend, für das Verständnis der Natur des Logischen die zu Grunde liegende menschliche Abstraktionsleistung zu reflektieren. Dann ergäben sich für den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch Gültigkeitssphären. Uneingeschränkt gelte der Satz nur da, wo Beziehungen zwischen abstrakten Größen behauptet werden.(40) Der Logiker Schröter betont dann in seiner Replik, der Begriffs des Widerspruchs beziehe sich in der Logik und Mathematik ausdrücklich auf sprachliche Aussagen und nicht auf außersprachliche reale Sachverhalte. Es sei daher sehr sinnvoll, für Vorgänge und Tendenzen der Realität nicht vom Widerspruch, sondern vom Widerstreit zu reden.(41)

Am zweiten Konferenztag trug Ernst Bloch zu Ehren Hegels Gedanken zum 120. Todestag des Philosophen vor. Jena ist ja die Stadt seiner entscheidenden ersten Produktions- und Gestaltungsjahre. Bloch erinnert an Hegels Leistung, das menschliche Dasein als das eines geschichtlich werdendes Subjekts begriffen zu haben. "Solche Kerngedanken sind nie vergangen und wer sich ihnen zuwendet, blickt nicht rückwärts, sondern faßt (hinter allem Vergänglich-Ideologischen) das Unabgegoltene, das echte Problem, die weiterdeutende Richtlinie seiner Lösung"(42) ..."Da hören dann bedeutende Teile der Geschichte auf, nur Vergangenheit zu sein."(43)

Kurt Hager bedankte sich als Schlußredner dieser Konferenz herzlich für Blochs Hegel-Ehrung, erwies dem westdeutschen Gast dieser Konferenz seine vorzügliche Hochachtung und stellte anschließend das Unternehmen in Aussicht, in der DDR eine philosophische Fachzeitschrift zu gründen.(44)

Bei dieser Konferenz handelte es sich nun um eine Veranstaltung, die der Auswertung von Stalins Schrift "Der Marxismus und die Fragen der Spachwissenschaft" gewidmet war! Um so erstaunlicher ist es, daß bei dieser Gelegenheit so gar nichts von der damaligen sowjetischen Verurteilung der Hegelschen Philosophie zu vernehmen war, mit der wir uns nunmehr vertraut machen müssen.

Ein kurzer Frühling der Philosophie

Stalin hatte es für richtig befunden, sich im Verlauf des II. Weltkrieges über Hegel zu erklären, und dieses Urteil in einer Geheimkonferenz per Beschluß des ZK der KPdSU 1944 festschreiben zu lassen.(45) Danach hatte Hegel den deutschen Nationalismus und Chauvinismus motiviert und war zum Vorläufer des Faschismus geworden. Seine Philosophie war grundsätzlich als eine aristokratische Reaktion auf die französische Revolution zu verstehen.(46)

Die Große Sowjet-Enzyklopädie, das nach den Herausgebern der deutschen Übersetzung "umfassendste wissenschaftliche Werk in der Geschichte der Menschheit" (47) verbreitete dieses Urteil 1952 u. a. mit folgenden Wendungen in der DDR: "Am schärfsten kam der Kampf gegen den Materialismus zum Ausdruck in den Werken von Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, deren Philosophie die Reaktion der Aristokratie auf die französische bürgerliche Revolution und den französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts verkörperte. Die deutschen Philosophen vor und nach 1800 brachten die Furcht und den Haß des deutschen Adels und der vor ihm dienernden schwachen und feigherzigen Bourgeoisie angesichts des revolutionären Sturzes der Feudalordnung in Frankreich zum Ausdruck. ... Der deutsche Idealismus betrachtete den Kampf gegen die Praxis und die Theorie der französischen bürgerlichen Revolution als seine Hauptaufgabe. ... Der Hauptvertreter des deutschen Idealismus um 1800 war der objektive Idealist Hegel... Er verteidigte die Interessen der Junker und der Bourgeoisie, mystifizierte den geschichtlichen Prozeß und machte die Geschichte der menschlichen Gesellschaft zu einer reinen Geschichte des Denkens. ... Hegel idealisierte die preußische Monarchie, trat für ungerechte Kriege ein und suchte auf jede Art die Slawen herabzusetzen."(48)

Nur ganz nebenbei - mit 5 von 65 Zeilen der einem absurden Verriß gleichenden Darstellung - ist von dem Verdienst Hegels die Rede, "...die idealistische Dialektik ausgearbeitet zu haben..." (49)

Mit diesem Verdikt der Siegermacht war wurde jede Stellungnahme zu Hegel tendenziell zu einem Politikum. Man kann in diesem Zusammenhang an die Diagnose Kolakowskis erinnern, die Robert Havemann gern nutzte, um geistige Prämissen der Nachkriegszeit zu veranschaulichen: "Wie jeder Marxist im Jahr 1950 wußte, war die Vererbungslehre Lyssenkos richtig, war Hegels Philosophie eine aristokratische Reaktion auf die Französische Revolution, war Dostojewskij ein `verfaulter Dekadenzler´ und Babajewskij ein ausgezeichneter Schriftsteller, war Suworow ein Träger des Fortschritts und die Resonanztheorie in der Chemie ein überholter Unsinn"(50)

Wenden wir uns angesichts dieser Umstände noch einmal den Akteuren der Logikkonferenz zu. Viele der hier Versammelten waren mit äußerst beachtlichen Arbeiten zu Hegel resp. zu Hegel und der Frage nach der Natur der Dialektik hervorgetreten: Ernst Bloch vor allem mit Subjekt/Objekt - eine Studie zu Hegel, Klaus Zweiling u.a. mit Studien zur Dialektik in der modernen Physik. Beide Autoren waren damit Teil einer intellektuellen Strömung in der frühen DDR, die den Aufbruch in die Nachkriegszeit auch als Ermunterung zu einem neuen, dialektischen und wesentlich an Hegel orientierten Denken verstanden und in Angriff nahmen. Und zu diesem Kreis gehörten nicht nur Fachphilosophen. Man denke etwa nur an Brechts Verhältnis zur Dialektik und seine Hochachtung für Hegel. (Brecht: Eine der schlimmsten Folgen des Stalinismus ist die Verkümmerung der Dialektik.(51) ) Der Blick auf die Literatur der Zeit zeigt uns vielmehr: Hegel-Studien und damit verbundene Arbeiten zur Theorie der Dialektik, wie die von Ernst Bloch, Georg Lukács, Klaus Zweiling und die Marx-Hegel-Studien des von Dieter Henrich(52) geschätzten August Cornu (über Marx und Hegel - Ende Juli 1949), Hans Mayer (Antrittsvorlesung. H. Mayers in Leipzig: "Goethe und Hegel") kennzeichnen eine erste überaus produktive Phase in der Geistesgeschichte der jungen DDR/SBZ.

(Wenn wir dies hier und nachstehend betonen, dann verkennen wir dabei nicht die Differenz, die die (engere) Werkgeschichte von der jeweiligen Wirkungsgeschichte unterscheidet. Das 1948 erstmals im Europa-Verlag Zürich/Wien erschienene großartige Hegel-Buch Lukács´(53) ist in den dreißiger Jahren entstanden und Ernst Bloch hat sein Hegel-Buch noch in Amerika geschrieben.(54) Es steht in den Kontinuität eines Lebenswerkes, das 1918 mit dem Geist der Utopie(55) einsetzte.)

Dieser Eindruck, wonach gerade auch die Forschungen zur Hegel und der Dialektik einen - wie Claus Burrichter es formuliert hat - "...Frühling der Philosophie" in der DDR bedeuteten, wird durch die Themen und das Niveau der seit 1953 erschienenen DeutschenZeitschrift für Philosophie (DZfPh) bekräftigt.(56) Die in den ersten Jahren dieser neuen Zeitschrift von Georg Lukács, August Cornu, Werner Krauss, Wolfgang Harich und Karl Schröter publizierter Arbeiten heben sich - verglichen etwa mit den zeitgleichen Publikationen in der Einheit - ganz erkennbar als ein eigener Diskurstyp ab. Hier tritt die Philosophie durchaus mit sozialistischer Intention aber keineswegs als Propagandist von Parteibeschlüsse in Erscheinung. Eine differenzierte Problementwicklung bestimmt die Argumentation. Wenn man die Philosophie - im Gegensatz zu ihrer Subsumtion unter die Politik - dann als frei ansieht, wenn sie sich souverän äußert, dann kann man diesen literarischen Komplex wohl als freie marxistische Fachdiskussionzu Hegel bezeichnen.

Wir wollen damit u. a. folgende Artikel der ersten Jahrgangs der DZfPh charakterisieren. Klaus Zweiling publiziert im Heft 1 eine bemerkenswerte Besprechung zum Erscheinen von Friedrich Engels´ Dialektik der Natur. Trotz ihres wiederholten Bezugs auf Stalin enthielt sie eine kaum verhüllte Kritik des Leninschen Materiebegriffs. Mit diesem Begriff werde alles wirklich Vorhandene lediglich nach der Seite des bloßen Existierens gefaßt. (57)

Georg Lukács´ Aufsatz zu Schelling Irrationalismus (im gleichen Heft) bedeute angesichts der Zeitumstände eine einzigartige Verteidigung Hegels. Mittels Lukács´ Schnitt zwischen Rationalismus und Irrationalismus wird alles Negative auf das Konto Schellings gebucht und Hegel als philosophischer Rationalist mit demokratischer Attitüde vorgestellt. Bemerkenswert bleibt wohl auch, wie maßgeblich für Lukács das Entwicklungsdenken über den Charakter des Philosophierens entscheidet.(58)

Im 2. Heft unterstrich Wolfgang Harich in seiner Studie Die Lehre von Marx und die Bildung der Intelligenz auf der Sicht, es sei unmöglich selbst den alten Hegel ohne Einschränkung zur Restauration zu rechnen. Sein Kampf gegen die Historische Schule zeige vielmehr Momente, in denen er "...auch unmittelbar politisch, der geistige Wegbereiter der demokratisch-revolutionären Opposition erst Heines und dann auch des jungen Marx" war. Diesem Geist ist auch die Arbeit von Werner Kraus Karl Marx im Vormärz verwandt.(59)

Hegel und die Diktatur des Proletariats in der DDR - die Hegel-Debatte der DZfPh

Diesen literarischen Kurs konnte die Redaktion jedoch nicht lange durchhalten. Sie sah sich veranlaßt, in 1/54 und 2/54 Rugard Otto Gropps Aufsatz "Gegensatz der marxistischen und der Hegelschen Dialektik" zu publizieren. Damit entfachte sie die einzige ausdrückliche Hegel-Debatte in der DZfPh. Und bei dieser Debatte war von vornherein klar, daß nicht nur das Hegel-Bild in Frage stand. Gropp ging es mit dieser literarischen Fehde um einen politischen Kampf: "Der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat wird auf dem Gebiet der Philosophie ebenfalls geführt als ein Kampf zwischen Materialismus und Idealismus.(60)

Schon die Eröffnungssätze des Aufsatzes enthielten eine unmißverständlich politischen Vorwurf. Unter der Zwischenüberschrift "Hegelianismus bei der Verfälschung der marxistischen Philosophie" lesen wir: "In Deutschland gründet sich in der Arbeiterbewegung schon der Opportunismus Ferdinand Lassalles, der die Arbeiterklasse vom Weg zum Klassenkampf abzudrängen suchte, philosophisch auf den Hegelianismus."(61) Dem schloß sich ein Gewaltmarsch durch die jüngere Parteigeschichte an, bis hin zu Stalin. Und da war der Autor zu Hause. Es ginge um die Stalinsche Orientierung, Hegels Denken als Ausdruck der aristokratischen Reaktion gegen die französische Revolution zu begreifen. Beispielhaft am sowjetischen Vorbild sei weiterhin, daß die SU schon Anfang der 30er Jahre hegelianische Verzerrungen überwunden habe.(62)

Im gleichsam philosophischen Nachgang zu dem im Juli 1952 beschlossenen Aufbau des Sozialismus in der DDR und der damit verbundene Proklamation einer unvermeidlichen Verschärfung des Klassenkampfes in der DDR(63) , fordert und postuliert Gropp: "Vieles, was die Sowjetphilosophie bereits hinter sich gelassen hat, ist bei uns noch nachzuholen" (64) Hegels Ansatz "...entspricht einem reaktionären Gegensatz gegen die Aufklärung... An die Stelle der aufklärerischen ideologischen Entgegensetzung der Klassenfronten setzt Hegel die Versöhnung, den Ausgleich...."(65) Jene Versöhnungsphilosophie drücke ebenso die Unterordnung der Bourgeoisie unter die Herrschaft des Adels aus, wie sie sie verteidige."(66)

Gropps Eifer, unter seinen Kollegen reaktionäre Versöhnler namhaft zu machen, richtete sich besonders gegen August Cornu, Georg Lukács, Ernst Bloch und Fritz Behrens. Während Lukács möglichst viel Marx in Hegel hineinzulesen bemüht sei, versuche Bloch möglichst viel Hegel in den Marxismus hinüberzunehmen.(67)

Mit der Fortsetzung des Artikels im Heft 2/1954 spricht Gropp sich für die Bindung der Forschungen zur Dialektik an die Parteiführung aus. Gegenüber einer Dialektik, die "von vornherein irgendwie ideell gegeben ist" gehe es mit ihrer materialistischen Gestalt darum, den Erfahrungen des Klassenkampfes zu folgen. Materialistisch gesehen läge die Dialektik in den "Tatsachen des Klassenkampfes" -, der Theoretiker mache sie nur bewußt.(68) So tritt unser Autor zugleich gegen jede Autonomie des Denkens an und stellt den Leser vor die (verrückte) Alternative, mit dem Übergang zum Materialismus nicht von Denkbestimmungen, sondern vom praktische Klassenkampf und damit von der diese Aktion führenden Kraft auszugehen.(69)

In den 90er Jahren hat Wolfgang Harich über Gropp bemerkt, als Leipziger Aufpasser Blochs sei Gropp sei damals darauf aus gewesen, in der Hegelfrage noch über Stalins Grab hinaus dessen Autorität als Philosoph zu befestigen.(70) Da Gropp aber die "Hegelfrage" namens der Gegensatzes von Materialismus und Idealismus zur einer Parteienfrage im Klassenkampf stilisiert hatte, die für die Gropp-Protagonisten nur ein Wer-Wen? bedeuten konnte, ging es mit dieser Attacke fraglos um die konzeptionelle Gesamtanlage der DZfPh und die Chancen für die philosophische Arbeit in der DDR. Die redaktionell leitende Idee der DZfPh hat Wolfgang Harich in den 90er Jahren mit den Worten wiedergegeben: "Die vier Herausgeber, desgleichen Hertwig - und aus der Ferne Lukács - stimmten überein in dem Bestreben, eine Zeitschrift zu machen, die geeignet sei, die philosophisch interessierte Intelligentsja im ganzen deutschen Sprachraum durch möglichst hohes Niveau zu beeindrucken, um bei ihr Aufgeschlossenheit für marxistisches Gedankengut wecken zu helfen."(71)

Ernst Bloch hat am 14.8.53 an Lukács diesbezüglich geschrieben: " Der neue Kurs unserer Politik .. hat auch für die philosophische Zeitschrift gewisse Konsequenzen. Wir werden einerseits noch stärker als bisher auf marxistische Autoren angewiesen sein, deren Arbeiten eine wirksame marxistische Beeinflussung der philosophisch interessierten Intelligenz in Gesamtdeutschland, in Österreich und in der Schweiz gewährleisten... Andererseits werden wir in jedem Heft auch je einen Beitrag eines bürgerlichen Philosophen bringen, der etwas halbwegs Rationelles zu sagen hat, um auf diese Weise die Bereitschaft für gesamtdeutsche Gespräche zu stärken."(72) Demgegenüber sei der Aufsatz von Gropp, in vielen Punkten "auf der Linie des hiesigen Sektierertums"(73)

Was ist mit Harichs Vorstellung vom "hiesigen Sektiertum" eigentlich gemeint? Es ist hierzu ratsam, sich zu vergegenwärtigen, wann Gropp seine Polemik verfaßt hat. Nach den vorliegenden Indizien muß das im Frühling 1953 - und damit einer Zeit extrem harter politischen Diktatur in der DDR - geschehen sein.(74) Als deren literarischer Ausdruck ist die Attacke damit wohl auch zu bewerten.

Wie sich Harich weiter erinnert, haben die Herausgeber der DZfPh mit dem Heft 3/54 die Abhandlung Gropps gegen eine anderslautende Empfehlung Kurt Hagers zur Diskussion gestellt.(75) Die Idee, der Publikation des Artikels diese Wende zu geben, hatte Harich in dem Brief vom 14.8.53 an Lukács avisiert und dabei offensichtlich auf den inzwischen proklamierten "Neuen Kurs" gesetzt. "Die Fehler, die er (der Aufsatz von Gropp. U.H.) enthält, sind ...weit verbreitet und sein Abdruck würde Gelegenheit mehrere Diskussionen zu beginnen, in deren Verlauf dann über grundlegend wichtige Fragen Klarheit geschaffen und die betreffenden Fehler überwunden werden könnten. Die zu klärenden Fragen sind etwa die folgenden: 1. Fortschritt und Reaktion in der klassischen deutschen Philosophie, 2. Idealistische und materialistische Dialektik, 3. Größe und Grenze der marxistischen Erschließung des deutschen philosophischen Erbes durch Lukács, 4. Die Problematik der Hegel-Interpretation von Ernst Bloch."(76)

Diese Unbotmäßigkeit hat den Herausgebern der Zeitschrift eine erste Verfassungsänderung eingebracht. Im Resultat entsprechender Parteibefehle bestand seit April 1955 ein Redaktionskollegium. Damit waren dem Chefredakteur Wolfgang Harich nunmehr Matthäus Klein, Alfred Kosing, Herman Ley und Georg Mende beigesellt.(77) . Die Geburt der Redaktion der DZfPh ist so mit der Auseinandersetzung um die Hegelsche Philosophie verknüpft. Die Notiz über diese Veränderung, die im Heft 1/1955 der Zeitschrift publiziert wurde, schützt den Zeitgeist vor, es gehe um "das Prinzip der Kollektivität in der Leitung der Zeitschrift"(78)

Gemessen an dem jeweils zur Groppschen Abhandlung bekundeten Verhältnis ergriffen in dieser Diskussion Über das Verhältnis der Marxismus zur Philosophie Hegels im Jahre 1954 Auguste Cornu(79) wie Fritz Behrens(80) zurückweisend das Wort. 1955 äußerten sich Wolfgang Schubardt(81) (Gropp verzapfe linkssektiererischen Kohl), Erhard Albrecht(82) und Wolfgang Mönke(83) zurückweisend. Lediglich Josef Schleifstein(84) meldete sich affirmativ. Im Heft 2/1956 führen Helmut Seidel und Klaus Gäbler(85) die Hegel-Studien Lenins als Waffe gegen Gropp ins Feld und stellen gegenüber der üblichen Beschränkung auf den jungen Marx die an Hegel orientierte Kategorienverwendung des reifen Ökonomen Marx zur Debatte. In Joachim Höppner(86) fand nach Josef Schleifstein das Groppsche Anliegen seinen zweiten Verteidiger. Auch ihm ging es vordringlich um eine politische Dimension: Hegel habe sehr wohl, meinte Höppner, die Weltanschauung der konservativen deutschen Bourgeoisie des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts formuliert. Skandalös sei die Hegelsche Auffassung, nach der Freitag mit Recht zum Knecht werde. Im weiteren Verlauf der Diskussion verteidigte dann Iring Fetscher(87) (Tübingen) Lukács gegen Schleifsteins Angriffe und Jürgen Kuczynski(88) feierte in einer Zuschrift an die Redaktion Hegel als denjenigen Denker, der vor Marx in der dialektischen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft am weitesten über Ricardo hinausgekommen ist.

Weitere Artikel zu dieser Debatte gehörten, konnten nicht mehr erscheinen. Die Äußerungen von Bloch, Harich u.a wurden mit dem verbotenen Heft 5/1956 für die DDR unterdrückt.

Will man die Reaktion auf diese Gropp-Attacke zusammenfassen, so kann man dies sehr wohl mit den Worten tun, die Bloch selbst dafür in seinem Offenen Brief an Bezirksleitung der SED Leipzig vom 22. Januar 1957 gefunden hat. "Und was wissenschaftlichen Einfluß von Professor Gropp angeht, dem autoritativ auftretenden Verfasser eines Artikels über das hiesiege Institut im Neuen Deutschland v. 19.12.56, so ist darauf hinzuweisen, daß in der Diskussion über seinen ehemaligen Dialektik-Artikel sich bisher sechs Diskussionsteilnehmer - Friedrich Behrens,...Auguste Cornu,...Wolfgang Schubardt,...Erhard Albrecht,...Wolfgang Mönke,...Jürgen Kuczynski,... - zum Teil mit schärfster Ablehnung, gegen Gropps Auffassung ausgesprochen haben und nur zwei - Josef Schleifstein,...Joachim Höppner - für sie . Und selbst diese letzteren distanzierten sich einigermaßen von Gropps Form oder seiner Einseitigkeit."(89)

Die Hegel-Diskussion war erkennbar zugunsten der Herausgeber ausgegangen und es schien Mitte 1956, daß die Herausgeber der Zeitschrift für Philosophie trotz aller Auseinandersetzung und Gefährdungen ihre Maßstäbe weiter verteidigen können. Ernst Bloch erhielt beispielsweise 1955 den Nationalpreis und wurde Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Im Preisvorschlag wurde Ernst Bloch als überragender Hegelforscher gewürdigt, der "...für das Verständnis des ganzen Hegel nicht weniger Wertvolles geleistet hat, wie Georg Lukács für das des jungen."(90)

Die politische Chronologie zeigt uns, daß die mit der Beschlagnahme des Heftes 5 der DZfPh und der Inhaftierung ihres Chefs schließlich zu verzeichnende gewaltsame Beendung auch des Hegel-Diskurses unmittelbar eine Reaktion auf die Ereignisse in Ungarn war. Fünf Tage nach dem 2. Einmarsch der Sowjetarmee in Budapest und der Verhaftung Nagys beschließt das SED-PB am 27.11.1956 die Verhaftung des Chefredakteurs der Zeitschrift für Philosophie, Wolfgang Harich. Mit der Auslieferung des an die Stelle des beschlagnahmten Heftes getreten Doppelheftes 5-6/1956 konnten die Leser wahrnehmen, daß das Herausgebergremium der Zeitschrift für Philosophie mit Arthur Baumgarten, Ernst Bloch, Wolfgang Harich und Karl Schröter kommentarlos aufgelöst worden war.(91) Es folgt dann Schlag auf Schlag: Wolfgang Harich und der Redaktionssekretär Manfred Hertwig werden 1957 zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Bernd Jankas wird in einem Schauprozess verurteilt: Anna Seghers, Helene Weigel u.a. haben den Prozeß verfolgt. 1957 wird Ernst Bloch in Leipzig zwangsemeritiert und im Oktober 1957 greift Alexander Abusch auf der Kulturkonferenz der SED Hans Mayers 'Revisonismus und dekadenten Geschmack' an.

Nach der Inhaftierung Harichs meldete sich die Redaktion der Zeitschrift im Heft 1/1957 mit einem Leitartikel zu Wort, in dem die "vermittlungssüchtigen Quacksalberein" Harichs verhöhnt werden und in deutlicher Anspielung auf die von Gropp über Hegel verkündeteten Wahrheiten selbstkritisch vermerkt wird, erst jetzt, nach den Ereignissen in Ägypten und in Ungarn wisse man eigentlich, was es politisch bedeute, wenn Philosophen "nach Hegelscher Art 'vermitteln' und das heißt versöhnen wollen, was schlechterdings nicht versöhnt werden kann."(92) Nach dieser Zurückweisung eines systematisch-orientierenden Gebrauchs Hegelscher Vorstellungen wird angedeutet, in welche Ecke die Hegel-Beschäftigung künftig gehört: Es handele sich dabei um Fragen des auch weiterhin zu pflegenden (Spezial)Gebiets der Geschichte der Philosophie ist. Die bisher in der Zeitschrift geführte "unorganisierte" Hegel-Diskussion sei dagegen zum Abschluß zu bringen.(93)

Blättert man nun in den nachfolgenden Ausgaben der DZfPh, um sich des versprochenen Abschlusses der Hegel-Debatte zu vergewissern, so begegnet man zwar in den folgenden Ausgaben den Namen einer neuen Generation, deren Eintritt in die philosophische Forschungen nicht nur mit der Erfahrung, sondern auch dem eigenen Beitrag in einer politisierten Hegel-Debatte verknüpft ist: Wolfgang Heise, Götz Redlow, Hermann Scheler, Gottfried Stiehler, Wolfgang Eichhorn I (Hegel und die Soziologie). Ein Schlußwort dieser Diskussion ist jedoch trotz des gegenteiligen Versprechens der Redaktion nicht auszumachen. Oder soll man den Beitrag von Joachim Höppner(94) dafür halten, der im Heft 3/1957 das Wort zu einer Antikritik erhielt? Höppner nutzte seine Chance, um Stalins Hegel-Verurteilung in der Sache zu verteidigen und sich auch noch gegen Hermann Klenner zu wenden. Klenner hatte in einem Artikel, der sowohl in der verbotenen Harich-Ausgabe 5/1956 wie in der parteiamtlichen Korrekturausgabe 5-6/1956 enthalten war, ganz entschieden gegen die These von der aristokratischen Reaktion Front gemacht.(95)

Joachim Höppner wird seinen Beitrag Anfang 1957 verfaßt haben. Und wie das Leben so spielt: Zu diesem Zeitpunkt hatte die mit dem Tauwetter des XX. Parteitages einsetzende Erosion in der Sowjetunion bereits zu einer offiziellen Neubewertung Hegels geführt. Sie wurde von T. I Oiserman mit einem Vortrag anläßlich einer hochrangigen Moskauer philosophischen Fachtagung zum 125. Todestag Hegels im Dezember 1956 initiiert. Er vollzog den in diesem Fall durchaus zu begrüßenden Wechsel der Autoritäten: Von Lenin, so T. I. Oiserman, könne man lernen, daß die Hegelsche Philosophie für die systematische philosophische Forschung des Marxismus unverzichtbar sei. Die bisher übliche Qualifizierung als "reaktionär" sei schlechthin falsch.(96)

Die Rezeption dieser Sicht in der DDR in den folgenden Jahren hat dann zwar einen ungeschmälerten Sieg der von Rugard Otto Gropp artikulierten Vorstellungen verhindert. Aber zunächst waren die Chancen für einen theoretisch orientierten marxistischen Hegel-Diskurs verbaut. Und wie die Struktur der Hegel-Debatte mit ihren vielen Proponenten eindeutig gezeigt hat, lag das ganz und gar nicht am möglichen Dogmatismus der akademischen Marxisten. Und bei der Reflexion der nun wirklich hierfür maßgeblichen politischen Gründe, sollte man nicht nur innenpolitische Vorgänge berücksichtigen. Die Sowjetunion hat offensichtlich bis in die 50er Jahre hinein für Deutschland immer wieder eine gesamtdeutsche Lösung erwogen. Ihr war an Reparationen aus Gesamtdeutschland gelegen. Soweit bekannt ist, hat die SU derartige Vorstellungen nach der Berija-Initiative von 1953 aufgeben.(97) Aber zunächst war da noch das auch von der DDR als gesamtdeutsche Aufgabe definierte Ziel, die Remilitarisierung Westdeutschlands zu verhindern. Über diese Remilitarisierung ist im Mai 1955 entschieden worden und mit der dann vollzogenen militärischen Ost- resp. Westintegration der beiden deutschen Staaten war eine neue Lage gegeben. Die Zeit für die Bemühungen, die gesamtdeutsche Kultur mit intellektuellen Leistungen des Marxismus für sich zu gewinnen, war nach den politischen Voraussetzungen abgelaufen.(98)

Strukturelle Merkmale und Konturen der Hegel-Literatur bis Ende der 80er Jahre

Statistischer Überblick und erste Konturierung

Vergegenwärtigen wir uns die Grundkonturen der Jahresverteilung von 276 Hegel-Artikeln der philosophischen Fachliteratur der DDR (Diagramm), so fällt ein relativ regelmäßige Verlauf auf: Die Publikationsdichte erreichte anläßlich der Hegel-Jubiläen von 1956, 1970 und 1981 ihre Spitzenwerte.

hegelddr

Dabei reflektiert der Spitzenwert von 1956, dem seinerseits ein beachtlich kontinuierlichen Anstieg der Publikationen vorhergeht, die intensive Hegel-Debatte, wie sie von Wolfgang Harich, Ernst Bloch, Georg Lukács, Fritz Behrens, Rugard Otto Gropp und anderen getragen wurde. Allein das im Binnenvertrieb der DDR nicht mehr ausgelieferte Heft 5/56 der Deutschen Zeitschrift für Philosophie enthielt 4 Hegel-Artikel von DDR-Autoren (und zwar von Ernst Bloch, Wolfgang Harich, Hermann Klenner und Fritz Bassenge).

Nach der Verhaftung von Wolfgang Harich und der Ablösung der Herausgeber der Deutschen Zeitschrift für Philosophie nahmen die Anzahl der Hegel-Publikationendramatisch ab.

Politisch kam es in diesen Jahren nicht zu den von Wolfgang Harich und anderen so eingeklagten Konsequenzen aus dem XX. Parteitag der KPdSU. Vielmehr wurde in dieser Zeit gerade die Diktatur des Parteiapparates über die Philosophie durchgesetzt.(99) Der Frühling der DDR-Philosophie wurde abrupt beendet.

Dabei hatte Wolfgang Harich besonders in seinem Hegel-Artikel im Heft 5/56 der DZfPh die Gegenposition nicht ohne historische Relativierung reflektiert. Er hatte sie als Ausdruck eines zu überwindenden von Stalin herrührenden Bewußtseins analysiert und dabei erinnert, daß man die sowjetische Hegel-Verachtung auch als kriegsbedingte nationale Reaktion der UdSSR gegen den deutschen Aggressor zu verstehen habe.(100)

Wie bereits oben erwähnt, ist es trotz des für die Freunde der Dialektik zunächst katastrophalen Ausganges der Hegel-Debatte nicht dazu gekommen, daß die Gefolgschaft um R.O. Gropp ungebremst das Sagen erhalten hätte. Sukzessive setzte sich vielmehr die Neubewertung der Hegelschen Philosophie durch, wie sie der sowjetische Philosoph T. I. Oiserman initiiert hatte. Oiserman hatte 1957 in der DDR eine akademische Vortragsreise absolviert und dabei für die neue Sicht geworben, nach der es nunmehr um die "Leninsche Etappe" in der Entwicklung der Philosophie ging.(101)

Die Erinnerungen Oisermans über diese Jahre sind auch heute noch lesenswert. Lassen sie doch einerseits eine Distanz des Philosophen gegenüber sowjetischen Vorgängern und andererseits eine Diskontinuität in der Generationsfolge der DDR-Philosophen anklingen: "Ich kam nach dem Krieg erstmals 1957 in die DDR... Ich kann mich noch sehr gut an meinen ersten Besuch erinnern, als ich in meiner Funktion als Leiter des Lehrstuhls der Philosophischen Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität einen Monat lang an den Universitäten von Berlin, Jena, Leipzig, Halle und an der Parteihochschule sowie an anderen Institutionen mit Vorlesungen und Vorträgen tätig war. Zu dieser Zeit kannte man in der DDR schon sehr gut eine Reihe sowjetischer Philosophen, die seit den Jahren 1947/48 zu aktuellen Problemen der marxistisch-leninistischen Philosophie aufgetreten waren. ...Bei meinem ersten Arbeitsaufenthalt traf ich auch mit den Professoren R. Gropp, G. Klaus, M. Klein, H. Ley, H. Scheler und K. Zweiling zusammen; sie waren damals schon bewährte marxistische Philosophen... Zu Beginn der 60er Jahre machte ich mich dann mit einer neuen, damals noch sehr jungen Generation von DDR-Philosophen bekannt, insbesondere mit M. Buhr, W. Eichhorn I, E. Hahn, G. Heyden, H. Hörz, F. Kumpf und einigen anderen."(102)

Wenn oben von der nicht ungebremsten Geltung der stalinistischen Hegel-Attacke die Rede war, dann ist damit auch gemeint, daß die sukzessive Bereinigung des Hegelverständnisses ein sehr langfristiger Vorgang war und es zunächst keinesfalls zur Zurückweisung der Deutung Gropps kam. Sie wurde Gegenteil als eine im Kern verdienstliche Linksübertreibung bewertet. Gropp-Anhänger resp. Schüler wie Manfred Buhr, Hans-Joachim Höppner und Wolfgang Förster wurden in der DDR zu maßgeblichen bzw. einflußreichen Interpreten der Philosophiegeschichte.

Gottfried Stiehler hat noch acht Jahre später Gropps Attacke als eine überzeugende Präsentation des Gegensatzes zwischen Hegelscher und marxistischer Dialektik gewürdigt, die aber "Leider ...auch Tendenzen einer nihilistischen, linkssektiererischen Einstellung zu Hegel auf(wies)."(103) Man bedenke: einer der namhaftestes Hegel-Autoren der 60er Jahre stellte- wenn auch implizit - Stalin seinem Publikum als einen Sektierer vor!

Derartige, heute unmittelbar nicht mehr nachvollziehbare Kapriolen, werden eher verständlich, wenn man beispielsweise die Orientierung Ulbrichts zum Umgang mit Stalin in Rechnung stellt, wie er sie 1957 auf der 30. ZK-Tagung der SED vorgetragen hatte. Nach einem Hinweis auf die Verletzung der Sowjetgesetze durch "Sicherungsmaßnahmen" Stalins bei Kriegsausbruch ließ Ulbricht verlauten, daß die Siegermacht tabu sei: "Wir als Deutsche haben das geringste Recht, eine Diskussion über Fehler zu führen, die in der Sowjetunion geschehen sind in der Zeit, wo die Sowjetunion vom faschistischen Deutschland bedroht wurde."(104) Überdies habe man zwischen dem Personenkult und den marxistischen Arbeiten Stalins zu unterscheiden: "Wir werden seine Werke auch weiter achten und aus ihnen lernen, aber es ist notwendig, bestimmte Vereinfachungen und theoretisch falsche Anschauungen zu korrigieren."(105) Nicht der Stalinismus, sondern die "zersetzende" Kritik der Intellektuellen (des Petöfi-Klubs etwa) ließ Ulbricht keine Ruhe. Die zwei Lehren, die er vor dem Publikum aus den ungarischen Ereignissen zog, lauteten: 1. Die Diktatur konsequent durchzuführen, heißt, keinen Petöffi Club zu dulden. 2. Wenn Intellektuelle hoffen, Fehler durch Kritik und freie Entfaltung der Kräfte zu überwinden, so übersehen sie, daß freie Kritik immer auch zersetzend wirkt und daher unter den Bedingungen des Kampfes zwischen zwei gesellschaftlichen Systemen konterrevolutionär wird.(106) Nach einer längeren Zurückweisung der Vorstellungen von Fritz Behrens und Arne Bernary, ihrer Betonung von Instrumente(n) der Marktwirtschaft(107) und der Forderung, man solle alle Blumen blühen lassen(108) fand er zu der Losung: "Es geht also bei uns in der Hauptsache nicht darum, "alle Blumen erblühen zu lassen", sondern vielmehr um eine richtige Zuchtwahl der Blumen, um die Auswahl des wirklich Neuen und Nützlichen... "(109) Damit meinte Ulbricht nun auch ausdrücklich Hegel-Diskutanten. Denn unmittelbar vorher hatte er Blochs Vortrag zum 125. Todestag Hegels in der Berliner Humboldt-Universität aufs Korn genommen: "Bloch betonte in seinem Vortrag nicht nur die große Bedeutung der Hegelschen Dialektik, sondern er verherrlichte auch das ganze Hegelsche System. Eine kritische Stellungnahme zu diesem Vortrag ist nicht erfolgt"(110)

Die Kontroverse über die Philosophie der Praxis

Kein Wunder also, daß Gropps Angriff nicht zurückgewiesen, sondern mit viel Respekt behandelt und nur nach Aspekten kritisiert wurde.(111) Der so Geehrte nahm 1967 wieder den Kampf auf. Er galt einer Konzeption, die ausdrücklich auch auf Marxens Hegel-Rezeption und damit auf die Überwindung der Gegenstandsvorstellung des kontemplativen Materialismus rekurrierte - dem philosophischen Rückgriff Helmut Seidels auf das praktische Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit.(112) Wie gehabt - und schließlich wieder gewonnen: "Diese Darstellung Seidels läuft darauf hinaus, das Ausgehen von der gesellschaftlichen Praxis dem Ausgehen von der Materie gegenüberzustellen."(113) Damit war der Ansatz paralysiert. Aber es handelte sich nicht nur um eine Wiederholung gewohnter Konstellationen. Mit dieser Kontroverse stand erstmals ausdrücklich eine an sich mit der DDR genuin verknüpfte philosophische Chance zur Debatte. Denn sollte für die Kultur eines Landes, das sich dem Projekt der Emanzipation der menschlichen Arbeit verschrieben hatte, nicht das philosophische Verständnis der menschlichen Arbeit und damit das Hegel-Verständnis von Marx, wonach Hegel "die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt ... also das Wesen der Arbeit faßt", zentral sein? (114) Das war die Frage nach der Praxis als der "Zentralkategorie" der marxistischen Philosophie. Gropp u. a. konterten umgehend mit dem Revisionismusverdacht. Jürgen Peters und Vera Vrona warfen Helmut Seidel dann auch vor, "daß für ihn die philosophische Entwicklung von Hegel zu Marx unter Ausklammerung Feuerbachs vor sich geht"(115) Den Philosophiefunktionäre der DDR, das war nunmehr unübersehbar, war auch die philosophische Reflexion der Arbeit suspekt. Sie waren an einer der Ideologie der Macht (und natürlich ebenso der Macht ihrer Ideologie) interessiert. Wir werden im Zusammenhang mit den als revisionistisch verurteilten Arbeiten von Peter Ruben darauf zurückkommen.

Die Gropp-Schüler, Wolfgang Förster z. B., haben die Vorstellungswelt ihres Meisters immer hochgehalten. Förster verkündete z B., vormarxistisches philosophisches Denken sei darum auch vorwissenschaftliches Denken. Wurde Hegel so in die Vorzeit des Wissenschaftlichen gerückt, so fand man aber kämpferische Worte zur Verteidigung der Klassischen Deutschen Philosophie, wenn man meinte, damit dem "Westen" etwas auswischen zu können. Zur Erinnerung an die tragikkomischen Resultaten derartigen Treibens wollen wir einige wenige Worte Försters zitieren: "Die Preisgabe des progressiven philosophischen Erbes durch die imperialistische Bourgeoisie ist Bestandteil der sich vertiefenden geistigen Fäulnis der spätbürgerlichen Gesellschaft als Symptom der Vertiefung der allgemeinen Krise der bürgerlichen Gesellschaft."(116) Das erinnert noch einmal daran, daß die Subsumtion der Philosophie unter die Partei ideologisch mit der Vorstellung eines verschärften Klassenkampfes verbunden war und die philosophischen Parteiarbeiter gehalten waren, im kalten Krieg aufzutrumpfen. Wie man sehr gut an Werner Sombarts "Händler und Helden" studieren kann, gehört die Herabsetzung des Kontrahenten zu solchem Geschäft.

In den frühen 60er Jahren hat Gottfried Stiehler mit den Arbeiten: Hegel und der Marxismus über den Widerspruch (Berlin 1960) und Die Dialektik in Hegels 'Phänomenologie des Geistes' (Berlin 1964) eine gewisse Veralltäglichung der Themas mitbewirkt. (Das darf man wohl sagen, ohne damit sein Verdienst zu schmälern, Hegel als Thema bewahrt zu haben.) Nicht, ohne dafür seinen Preis an den Parteigeist zu entrichten, den etwa der junge Manfred Buhr 1958 mit seinen Überlegungen zu Marx und Hegel in zynisch-unbekümmerter Verteidigung Gropps wie folgt artikuliert hat: "Ein Marxist hat als erstes auf die Unterschiede und Gegensätze von Marx und Hegel zu reflektieren, erst in zweiter Linie auf ihre Gemeinsamkeiten. ...Solange es Bestrebungen gibt, Marx durch Hegel zu revidieren, wird es erste Aufgabe der marxistischen Hegel-Forschung sein, diese energisch zurückzuweisen, wobei es gleichgültig ist, ob bei dieser Gelegenheit diese oder jene Seite der Hegelschen Philosophie etwas zu kurz kommt."(117) Das war für eine Reihe damaliger Nachwuchsphilosophen durchaus Konsens. In Gottfried Stiehlers Arbeit zum Dialektischen Widerspruch von 1966 kommt aus heutiger Sicht so manches "zu kurz": Unter hunderten Zitaten galten ganz wenige Hegel.

Camilla Warnke hat nach einer erneuten Begegnung mit Stiehlers Die Dialektik in Hegels 'Phänomenologie des Geistes' notiert: "Wie tief dabei der Schock durch die barbarischen Ketzerprozesse gegen die Protagonisten der Hegel-Debatte der 50er Jahre noch 1964 gesessen hat, vermag heute noch die Lektüre ... zu vermitteln. Nur um den Preis einer ausführlichen Lukács-Kritik, einer Polemik gegen "gewaltsame Versuche, Hegel und den Marxismus anzunähern", wagte Stiehler(118) damals, ausgiebig öffentlich Hegel zu referieren."(119)

Aspekte der Hegel-Diplomatie

Im Verlauf der späten 60er Jahre trat dann in der Hegel-Landschaft der DDR eine neue und zugleich außenpolitisch relevante Aktivität in Erscheinung, die wir hier nur streifen können, weil ihre gründliche Darstellung an die Aufarbeitung der entsprechenden Archive gebunden ist. Wir meinen die "Hegel-Diplomatie" der DDR, die als Dauerveranstaltung zum Wirkungsfeld einiger weniger Philosophiefunktionäre wurde. Zu deren Spitzenposition diente sich schließlich der eben erwähnte Manfred Buhr hoch. Sie erwuchs aus der Mitwirkung von DDR-Philosophen in der seit 1956 bestehenden "Deutsche Hegel-Gesellschaft" (Nürnberg). Diese Gesellschaft war unter Teilnahme von sechs DDR-Philosophen gegründet worden und verstand sich seit 1958 als "Internationale Hegel-Gesellschaft". Und es waren natürlich keine vordringlich philosophischen Gründe, die die DDR bestimmten, den 8. Kongreß dieser Gesellschaft zum 200. Geburtstag Hegels 1970 in Berlin, als einen "Weltkongreß" zu inszenieren.(120)

Dieser Kongreß war Bestandteil der vielfältigen Bemühungen der DDR um internationale Anerkennung. Dies festzustellen, kann nicht bedeuten, darin etwas negativ Bemerkenswertes zu finden. Im Gegenteil, daß die DDR mit Hegel für sich politisch geworben hat, diese PR-Anstrengung wird man ihr vernüftigerweise eher zugute halten können. In dem Maße freilich, wie dabei die Hegel-Literatur befördert worden ist. (121)

Zumindest ist diesem Jubiläum mit zu verdanken, daß ab 1968 wichtige Hegel-Editionen und Werkausgaben gefördert wurden. Nach der derzeitigen Erkenntnislage ist schwer zu sagen, in welchem Maße die seit 1968 in der DDR erscheinende Folge von Hegel-Editionen dominant philosophiehistorischen Initiativen des Instituts für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften der DDR unter Georg Klaus zu danken ist, und in welchem Ausmaß sie durch die "Hegel-Diplomatie"gefördert wurde. Sicher ist jedenfalls: Nie wieder sind in der DDR Hegel-Editionen in so dichter Folge erschienen. Es war ja auch vieles nachzuholen. 1968 und 1969 publizierte der Akademie-Verlag die Lizenzausgaben des Felix Meiner Verlages Logik, Metaphysik und Naturphilosophie und Jenaer Realphilosophie.(122) 1970 erschien eine Ausgabe der von Gerd Irrlitz herausgegebenen und eingeleiteten Politischen Schriften Hegels.(123) Irrlitzens Einleitung konnte man die Einsicht entnehmen, daß der Übergang zur materialistischen Sicht für sich keineswegs die revolutionäre Position der Philosophie verbürgt. Marx habe vielmehr die Emanzipationstheorie des deutschen Vormärzes entschieden auf Hegels Orientierung bezog.(124) 1970 erschienen weiterhin die Lizenzausgaben Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte und Briefe von und an Hegel - 1. Band.(125) 1971 gab Horst Schröder die Philosophischen Schriften von Eduard Gans heraus, die Lizenzausgabe des ersten Bandes der Wissenschaft der Logik(127) erschien. 1972 war mit den Jenaer Schriften ein weiterer von Gerd Irrlitz edierter und mit einem instruktiven Aufsatz zu Hegel, Sachlichkeit zuerst eingeleiteter Band erhältlich.(128)

Der Arbeiterstaat und die Philosophie der Arbeit

Zu den bemerkenswerten Resultaten der Hegel-Forschung dieser Jahre gehört mit dem Sammelband Zum Hegelverständnis unserer Zeit eineam Lehrstuhl von Hermann Ley in Berlin entstandene Arbeit, die vor allem Arbeitsergebnisse der Hegel-Rezeption vorstellt, die aus Forschungen zu philosophischen Fragen der Naturwissenschaften und der Mathematik hervorgegangen sind. Herbert Hörz empfahl hier den Fachwissenschaftlern in einem für sein Denken durchaus charakteristischen Aufsatz, Hegel zunächst links liegen zu lassen. Wenn schon, dann solle man sich vermittelt über den Marxismus-Leninismus mit Hegel befassen.(129) Demgegenüber stellten Camilla Warnke, Rolf Löther und Peter Ruben mit ihren Aufsätzen auf je eigene Weise unmittelbare Zugänge zu Hegel in den Mittelpunkt der Betrachtung. Peter Ruben formuliert mit seinem Aufsatz Von der "Wissenschaft der Logik" und dem Verhältnis der Dialektik zur Logik(130) einen Ansatz zur Rekonstruktion des Hegelschen Dialektik, der bis 1980 mit einer Vielzahl von Publikationen ausgebildet werden konnte und mit einer für die DDR-Philosophie beachtlichen Rezeption jenseits der Staatsgrenzen verbunden war. führte. Indem Ruben vor dem Hintergrund eines später explizit ausgearbeiteten Verständnisses der Wissenschaft als allgemeiner Arbeit(131) die messende Naturwissenschaft als "verständige Abstraktion" der Reflexion des Verhältnisses von Logik und Dialektik zugrunde legte, erschloß er einen philosophischen Argumentationsgang zur Klärung des Verhältnisses von Dialektik und Logik, der sich grundsätzlich von der aus der Frankfurter Schule bekannten weltanschaulich-antikapitalistischen Deutung des Abstrakten abhob. Mit der vorgetragenen Intention, die Produktion im Sinne von Marx und Hegel konsequent als bestimmende menschlichen Gattungstätigkeit zu reflektieren, formulierte Ruben darüber hinaus eine konzeptionelle Herausforderung, die das philosophisch-politische Selbstverständnis der Kaderphilosophie der DDR zentral berührte. 1981 wurde er vermittels eines Revisionismusvorwurfs aus der wissenschaftlichen Kommunikation ausgeschlossen.(132) Wenn man die inzwischen gut dokumentierte Kontroverse heute wieder nachliest, verblüfft angesichts der schließlich ja eingetretenen ökonomischen Implosion der DDR die Treffsicherheit, mit der die Partei und ihre Parteiphilosophen genau dafür alles taten. Der Kampf gegen Ruben entzündete sich an einem Artikel von Hans Wagner und Peter Ruben, mit dem erstmals in der DDR explizit nach einer entwicklungstheoretischen Wertauffassung gefragt wurde!(133)

Die Philosophie-Funktionäre der (Arbeiter)Partei wußten überdies genau, daß das philosophische Denken der Arbeit unausweichlich zum Subjektivsmus führt.(134) Es bedinge, "...das Eigentumsverhältnis - ein gesamtgesellschaftliches praktisches Machtverhältnis von Klassen, welche das Wesen eines gegebenen Systems von Produktionsverhältnisses und den Charakter der Produktionsweise bestimmt..." grundsätzlich zu verkennen.(135) Indem die staatstragende Argumentation hier überdies bekundet, daß ihr das Eigentum nicht als ökonomisches Vermögen sondern als Machtbasis gilt, kann man wohl trotz aller Verschiedenheit der jeweiligen Problemlagen eine Konstante in den Konflikten betreffs Subjekt-Objekt, Praxis und Arbeit erkennen. Gegen derartiges Denken in der Tradition Hegels stand die reale Subsumtion der Arbeit unter das als politisches Prinzip, als staats- und machttragend, gefaßte Gemeineigentum.

Bevor es 1981 zum Ruben-Eklat kam, entwickelte sich im Zusammenhang mit seinen inzwischen in westlichen Verlagen und Zeitschriften der BRD erschienen Arbeiten (136) ein sozusagen gesamtdeutsch gemusterter Dialektikdiskurs, der auch bei internationalen Hegel-Kongressen nicht mehr zu übersehen war.(137) Womit nur gesagt werden soll, daß es auch jenseits der Hegel-Diplomatie - und natürlich jeweils zu ihrem großen Verdruß - gesamtdeutsche Bemühungen um Hegel gegeben hat.

Die gleichermaßen in die ideologische Abgrenzung wie in die Außenpolitik der DDR integrierte staatstragende Hegel-Diplomatie verlor mit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages DDR-BRD Ende 1973 naturgemäß ein Teil ihrer Dynamik und die zunächst noch die formelle Auswertung der Kongreßaktivitäten vor dem DDR-Publikum bestimmende Abgrenzungsrhetorik(138) verlor angesichts Honeckers Politik einer sogenannten "Koalition der Vernunft" ihren Hintergrund. W. R Beyer erinnert des Ziel, das dem DDR-Chefkader für Hegel-Diplomatie nunmehr vorschwebte: "Eine einzige Hegel-Gesellschaft auf der Welt, aber innerhalb dieser zwei Vorstände, ob nun ein Kondominat bildend oder nicht, auf alle Fälle einer ' aus dem Westen' und 'einer aus dem Osten' - und das ist er."(139)

Differenzierungen in den 70er Jahren

Das quantitative Verteilungsschema zeigt eine wichtige differenzierende Vorgänge nicht an. Hinsichtlich der 60er Jahre muß unbedingt der erste und einzige relevante Reformansatz "von oben" erwähnt werden, den es in der Geschichte der DDR gab - Ulbrichts Versuch, mit einem Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft zu einer marktwirtschaftlich revidierten Wirtschaftsverfassung zu gelangen.(140) Im Kontext dieser Politik kam es zu auch zu einer gewissen Liberalisierung der Kulturpolitik in der DDR. Im Herbst 1963 begann R. Havemann mit seinen Vorlesungen Dialektik ohne Dogma. In Sinn und Form konnte sogar 1965 die Arbeit von Karl Löwith Hegel und die Sprache erscheinen.(141) Die sich im Politbüro und ZK gegen Ulbrichts Politik zusammenballende Reaktion entlud sich bekanntlich im kulturpolitischen Kahlschlagplenum, der 11. Plenartagung der SED vom 5.-18.12.1965.

Der nach dem relativen Publikationsminimum von 1974 dann über knapp 10 Jahre relativ dichten Folge von Hegel-Artikeln lagen - trotz des die Verteilung mit musternden 200. Todestages Hegels 1981 - u. a. folgende Veränderungen in der Hegel-Forschung der DDR zu Grunde.

Wie mit den obenstehenden Hinweisen auf die Arbeiten z. B von Gerd Irrlitz und Peter Ruben bereits angedeutet worden ist, setzte in den 70er Jahren eine stärker an Sachfragen orientierte Rezeption und Forschung ein. Dies hing einerseits mit der Profilierung der fachphilosophischen Forschungen zur Geschichte der Philosophie und zur Dialektik an den Universitäten Jena, Leipzig, Berlin und Rostock wie dem Philosophie-Institut der Akademie der Wissenschaften zusammen. Auch haben die politischen Ereignissen von 1968 bei vielen Forschern das Bedürfnis verstärkt, sich möglichst eine philosophische Nischenexistenz zu erobern.

Dabei war zugleich eine Profilierung der natur- und wissenschaftsphilosophischen Hegel-Forschung zu verzeichnen.

Für diese Tendenz stehen neben den oben schon erwähnten Arbeiten folgende Titel:

  • Wolfgang Bialas/Klaus Richter/Martina Thom: Marx - Hegel - Feuerbach (1980).(142)
  • Biedermann, Georg: Die klassische politische Ökonomie als Quelle der Hegelschen Geschichtsauffassung (1976), Zum Ursprung der Hegelschen Geschichtsauffassung und Methode (1979), Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1981).(143)
  • Steffen Dietzsch, Steffen: Goethe - Hegel - Caroline (1978).(144)
  • Anneliese Griese: Einige Aspekte der Hegelschen Gesetzeskonzeption und ihre Bedeutung für das Verständnis des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses (1971).(145)
  • Herrman Klenner: Läßt Hegel die Dialektik in seiner Rechtsphilosophie stille stehn? (1976), G. W. F. Hegel: Grundlinien der Phil. der Rechts mit einem Vorwort von Hermann Klenner "Hegels Rechtsphilosphie in der Zeit".(146)
  • Hans Peter Krüger: Rousseaus Bedeutung für den Berner Hegel (1979).(147)
  • Hans-Christoph Rauh: Die Entwicklung der Erkenntnis nach Hegels "Phänomenologie des Geistes" (1974).(148)
  • Götz Redlow: Hegel und die formale Logik. (1978).(149)
  • Peter Ruben: Prädikationstheorie und Widerspruchsproblem. (1976), Die wissenschaftstheoretische Bedeutung der Hegelschen Logik (1977).(150)
  • Renate Wahsner: Hegel - Dissertatis philosophia de Orbitis Planetarium (Auszüge) 1978), Naturwissenschaft zwischen Verstand und Vernunft Berlin (1981).(151)
  • Camilla Warnke: Lokalisation des Systemdenkens nach Hegel - Das Gesetz der Erscheinung.(152)

Aber da war auch die Jubiläumsliturgie des staatstragenden Hegel-Gedenkens anläßlich des 150. Todestages des Philosophen. Wer sich des Niveaus und des Stils der in diesem Umkreis entstandene Literatur versichern will, sollte Kurt Hager Aufsatz Das Erbe Hegels liegt in unseren Händen(153) einsehen.

Politisch darf nicht vergessen werden, daß diese Phase in eine Situation mündete, die der nach 1956 in manchen Aspekten ähnlich war. Ende Dezember 1979 begann der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan. Ein Jahr später folgte im Zusammenhang mit den Streiks der polnischen Arbeiter gegen ihre Arbeiterregierung die Bildung der Solidarnosc. Am 13.10.80 erklärt Honecker mit seiner Rede in Gera erneut die Abgrenzung gegen BRD. Am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften begann am Jahresende anläßlich eines Artikel zur entwicklungstheoretischen Wertauffassung der Ökonomie die oben schon skizzierte Neuauflage der von der Parteiphilosophie stoßweise betriebenen Revisionistenhatz.(154) Der Chef dieses Zentralinstituts rief 1981 in einem Hegel-Aufsatz die Vorordnung der Politik aus: Ausgangs- und Endpunkt der materialistischen Dialektik sei die welthistorische Mission des Proletariats und die Auseinandersetzung mit der Hegelschen Philosophie sei ideologischer Klassenkampf. (155)

Notiz zur Hegel-Literatur der 80er Jahre

Unter den für die philosophische Arbeit der DDR wichtigen Arbeiten der 80er Jahre zur Hegel- und Dialektikforschung seien hier hervorgehoben:

  • Wolfgang Bialas: Die Religionsphilosophie Hegels im Kontext seiner Theorie der bürgerlichen Gesellschaft (1985).(156)
  • Georg Biedermann: Der Ursprung der dialektischen Logik in der "Kritik der reinen Vernunft" (1983).(157)
  • Horst Heino Borzeszkowski und Renate Wahsner: Physikalischer Dualismus und dialektischer Widerspruch, (1989)(158)
  • Anneliese Griese: Materialistische Dialektik und Naturwissenschaft. Zur neuen Edition der "Dialektik der Natur" als Band I/26 der MEGA (1985).(159)
  • Rainer Mocek: Von Hegel zu Lukács. Das Ontologieproblem in gesellschaftstheoretischer und naturtheoretischer Sicht.(160)
  • Ingrid und Heinz Pepperle: Die Hegelsche Linke (1985).(161)
  • Helmut Seidel: Hegels Kritik der Metaphysik und die Kritik der Hegelschen Metaphysik.(162)
  • Martina Thom: Ein Vergleich der Hegel-Kritik von Feuerbach und von Marx (1843). (1983). (163)

Daß eine Reihe von philosophischen Untersuchungen, die in den 70er und 80er Jahren aus der Hegel-Forschung von DDR-Philosophen hervorgegangen sind, von bleibenden systematischen Interesse sind hat jüngst Renate Wahsner in ihrer Sammelbesprechung zur Naturphilosophie in der Philosophischen Rundschau deutlich gemacht(164) So berücksichtigt sie ausführlich den Ansatz von Camilla Warnke zur Differenz von fachwissenschaftlichem und philosophischem Systemdenken aus den 70er Jahren, wonach die fachwissenschaftliche Systemtheorie durch die analytische Aufhebung des dialektischen Widerspruchs gewonnen wird.(165) Die lebhafte Argumentation von Renate Wahsner gegen das Hegelbild von Schmid-Kowarzig macht dann die in jahrzehntelanger Forschungsarbeit in der DDR gewachsenen Positionen deutlich. R. Wahsner und Horst-Heino von Borzeszkowski hatten 1989 mit der Arbeit Physikalischer Dualismus und Dialektischer Widerspruch einer wichtigste philosophische Studien zur Aufhellung des Verhältnisses zwischen philosophischer und fachwissenschaflicher Analyse der Bewegung vorgelegt. Die hier skizzierte Sicht der naturphilosophischen Studien, die im Kontext der DDR Hegel-Forschung erarbeitet worden sind wird dadurch erhärtet, daß Karen Gloy in Jahre 1992 eine west-östliche Diskussionsrunde initiiert hat. Es ging ihr darum, " die ...Arbeiten und Forschungsergebnisse der ostdeutschen Kollegen genauer kennenzulernen, die sich aufgrund anderer Präferenzen weit intensiver mit naturphilosophischen Fragen und deren Abgrenzung von naturwissenschaftlichen ...beschäftigt haben als die westlichen Philosophen."(166) Die Dokumentation dieses Kennenlernens präsentiert von DDR-Autoren Camilla Warnke, Renate Wahsner, von Steffen Dietzsch und Peter Ruben.(167) Wie begründet das hier zutage tretende fachphilosophische Interesse ist, hat Renate Wahsner jüngst wieder mit ihrer Arbeit Zur Kritik der Hegelschen Naturphilosophie bekräftigt.

Zu den kategorialen Diskussionen und zur Diskontinuität der Hegel-Literatur.

Die Hegel-Beschäftigung der DDR Philosophie/Geisteswissenschaftist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der im engeren Sinne als Hegel-Forschung zu bezeichnenden Arbeitsfelder relevant. Darüber hinaus sind auch die kategorialen Diskurse der DDR-Philosophie hinsichtlich ihres philosophiegeschichtlichen Hintergrundes überwiegend von Hegel her zu lesen und zu verstehen. Dieser Umstand hängt natürlich zunächst damit zusammen, daß sich der Marxismus akademisch als dialektisches Philosophieren versteht. Darüber hinaus reflektiert der Rückgriff auf Hegels Kategorienlehre jedoch auch die Tatsache, daß Marx keine theoretische Philosophie und kaum eigene kategoriale Forschungen hinterlassen hat. Richard Schröder erinnert nicht ohne Grund daran, daß Marx und Engels ihr Denken gar nicht als Philosophie bezeichnet haben.(168)

Wir haben jedenfalls zu notieren: Mit den Debatten der DDR-Philosophie zu den Kategorien Entwicklung, Widerspruch, Allgemeines-Besonders-Einzelnes, Abstrakt-Konkret, Logik und Dialektik, Maß und Maßarten, Totalität und Vermittlung begegnet man Arbeitsfeldern, die ganz im Geiste des auch von Friedrich Engels vorgeführten selektiven Zugriffs unverkennbar durch Hegels Philosophie entscheidend geprägt sind, bzw. in einer von ihr weitgehend bestimmten Form aufgenommen wurden.

Dabei ist besonders für die ausgehenden 70er und die 80er Jahre eine starke Konzentration der Literatur auf die Kategorie des Widerspruchs und der mit ihr verbundenen Themen (Entwicklung, Bewegung) zu notieren. In den Jahren 1980-1986 wurden allein in der DZfPh 24 Artikel zum Widerspruchsproblem publiziert. Aber man begegnet auch Arbeitsfeldern, die eher bestimmten Diskussionsphasen im Gang der DDR-Philosophie und/oder besonderen Aktivitäten von einzelnen Forschungsgruppen zuzurechnen sind.

Dabei darf man nun leider eine Eigenart der philosophischen Arbeit in der DDR nicht vergessen, die im Ausdruck der Subsumtion der philosophischen Arbeit unter die Politik mit verhinderte, daß die DDR-Philosophie in einer kritischen Kooperation der Generationen einigermaßen kontinuierlich reifen konnte. Denn Ansätze und Forschungsresultate von Personen, die in Ungnade geraten waren, waren ja damit für die Verbreitung in der philosophischen Lehre und die sachgerechte Kritik im Fachdiskurs tabu. Für die wahrlich nicht überreiche DDR bedeutete die Produktion philosophischer Unpersonen und der politische Gnadenentzug natürlich eine kräftige Reduktion ihres geistigen Potentials. Wir müssen hier jedenfalls resümieren, daß dies im Gesamtverlauf der Hegel-Debatte der DDR (in verschiedener Weise) auf Fritz Behrens, Ernst Bloch, Wolfgang Harich, Georg Lukács, Robert Havemann, Helmut Seidel, Peter Ruben, Camilla Warnke und sogar schließlich Raimund Beyer zutraf. In der DDR sind derartige ideologische Normierungen auf Kosten der Person dabei nahezu ausschließlich auch auf Kosten der Freunde der Hegelschen Dialektik erfolgt. Die Geschichte der Hegel-Rezeption und der Hegel-Forschung der DDR ist nicht allein - aber doch weitgehend - auch die Geschichte des Dissenses mit der Parteiphilosophie.

Zur Literatur über die Dialektik des Sozialismus

Den Gründen dafür kommen wir wohl näher, wenn wir uns die Mühe machen, einige der parteiphilosophischen Verlautbarungen über Sozialismus und Dialektik noch einmal anzusehen.

Mit dem Beginn der 70er Jahre setzten verstärkt Betrachtungen über Sozialismus und Dialektik ein. Die DZfPh gestaltete mit ihrer Ausgabe Heft 2/1972 ein entsprechendes thematisches Heft. Greifen wir hieraus einmal die Arbeit von W. Eichhorn I zu Sozialismus und Dialektik auf. Wir lesen: im Sozialismus und beim Übergang zum Kommunismus ginge es um einen neuartigen Typ dialektischer Gesellschaftsentwicklung. Weil es dialektisch zuginge, könne der Kommunismus "nicht eine Sache ausgeklügelter Definitionen und Wortklaubereien und nicht Ausdruck abstrakter Ideale oder idealer Gesellschaftskonstruktionen " sein. Denn man hat es ja nicht mit "Erstarrtem", "endgültigen Wahrheiten", "vollendeten Abschlüssen" u. dgl. zu tun. Sollte sich nun ein Leser angesichts der in der DDR ja immer wieder propagandistisch beschworenen "Anstrengung des Begriffs" über die hier zutage tretende und sich dialektisch gebärdende Denkfaulheit wundern, so muß ihm erklärt werden: Es handelt sich einfach um eine phraseologische Handreichungen für den neuen Generalsekretär Honecker, der seinerseits gerade dabei war, die Leitvorstellung Ulbrichts vom Sozialismus als einer "relativ selbständigen ökonomischen Gesellschaftsformation" zu demontieren. Und vielleicht sollte man sich mit dieser Feststellung beruhigen.

So würden wir aber das wirklich Skandalöse dieser Dialektik-Debatten auf ihre gemütliche Komponente reduzieren. Dazu muß man daran erinnern, daß es in der DDR in der Tat auf einem Gebiet eine ebenso praktisch wie theoretisch relevante Entstalinisierung gegeben hat: Die experimentelle Phase einer Neuen Ökonomischen Politik. Und sie war mit der Durchsetzung der Einsicht verbunden, daß gerade auch für den Kernbereich der vergesellschafteten Wirtschaft, die industrielle Produktion von Produktionsmitteln, objektive Wertbeziehungen das für die Wirtschaftsführung maßgebliche Verhältnis darstellen.(169) Diese wichtige Wendung, mit der das Verständnis des Sozialismus als einem marktwirtschaftlichen Zusammenhang intendiert war, bedeutete zugleich den Abschied von der direktiven Planung der Stalinschen Wirtschaft. Dieser Planungstyp war Ende der 20er Jahre im Zusammenhang mit der Beseitigung der Neuen Ökonomischen Politik u. a. von Strumilin im Kampf "an der methologischen Front" mit der Erklärung durchgesetzt worden: "Wir haben bis jetzt die Welt nur interpretiert, es geht aber darum sie zu verändern. Deshalb sehen wir ... die charakteristische Besonderheit des Wirtschaftsplanes nicht darin, daß in dem Plan Elemente der wissenschaftlichen Voraussicht enthalten sind, sondern in der Zielstellung des Planes als einem System von wirtschaftlichen Aufgaben und Richtlinien."(170) Diese Vorstellung vom Plan als "der in Ziffern gekleideten Willenserklärung der Staatsmacht", wobei die Diktatur des Proletariats gerade darin besteht "seinen Willen frei in die Tat umzusetzen", kennzeichnet genau die stalinistische Kommandowirtschaft.(171)

Davon ausgehend, kann muß angesichts dieser Dialektik-Diskussionen die Rücknahme einer noch an Hegel oder Marx orientierten Dialektik zugunsten einer neostalinistischen Anschauung konstatieren. Das soziale Ganze wird wieder vom Standpunkt einer (eingebildeten) Allmacht und Allverantwortung der Parteiführung reflektiert. Sozialphilosophische Dialektik käme im Sozialismus, so versichert Eichhorn I, nur im Resultat gelenkter Vorgänge zustande. Jenseits der bewußten Führung durch die Partei gäbe es im Sozialismus überhaupt keine Dialektik der gesellschaftlichen Entwicklung.(172)

Und dabei ist gerade in den Jahren von 1971-1973 (bei gleichzeitiger Proklamation einer "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik") die Wende zu einer Wirtschaftspolitik erfolgt, mit der die konsumtiven Aufwendungen von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des eigenen Systems abkoppelt wurden. Eine auf die Dauer ruinöse Vorordnung der Politik vor der Ökonomie wurde eingeleitet: Während die Parteiführung DDR 1972 das wirtschaftliche Potential der DDR durch massive Enteignungen stärkte und dazu über 10 000 private und halbstaatliche Industriebetriebe in staatliches Volkseigentum überführte, begab sie sich ab 1973 wirtschaftspolitisch auf jene Bahn der zunehmenden Verschuldung und des Substanzverzehrs, die schließlich den politischen Zusammenbruch des Systems maßgeblich verursacht hat. Und betrachten wir die Funktionärselite der DDR-Philosophie auch nach dieser funktionellen Verantwortung, dann bleibt nur festzustellen, daß die erwähnte Dialektik-Diskussion, mit der kräftig für die Vorordnung der Politik posaunt wurde, die ideologische Begleitmusik jener Wende war. Während Wolfgang Eichhorn I uns bereits 1972 mit seinem neostalinistischen Rückgriff präsentierte, was Dialektik als Ideologie vermag, brachte Fritz Kumpf in einem Artikel zu Lenin und Hegel beinahe 10 Jahre später die erkenntnistheoretische Pointe hervor, adäquates dialektisches Erkennen äußere sich wesentlich in der Formulierung logischer Widersprüche.(173) Ob nun die - mit Blick auf die Marxsche Geschichtsphilosophie völlig indiskutable - Vorstellung von einer Gesellschaftsdialektik in die Welt gesetzt wird, die exklusiv vom politischen Handeln bestimmt ist, oder ob mit Fritz Kumpf implizit die Aufforderung zur Produktion von logischem Nonsens erging. Für das auch nur ansatzweise Begreifen der realen Geschichte (174) der DDR waren diese Autoren der Dialektik-Literatur nun wirklich nicht gerüstet.